Vollgesogen mit mannigfaltigen Impressionen der zeitgenössischen Kunst bin ich gerade aus Venedig zurück gekehrt. Und so muss ich einfach von der 54. Kunstbiennale (4.6.–27.11.2011) berichten, auch wenn diese nur bedingt etwas mit der angewandten Kunst und Japan zu tun hat, die beiden Themen, über die ich auf meinem Blog schreibe. Zwar könnte man sicherlich vieles über das gelungene Logo schreiben, das den Titel der Ausstellung ›ILLUMInazioni / ILLUMInations‹ in Szene setzt, aber warum soll hier nicht auch einmal etwas über die Bildenden Künste berichtet werden. Sind sie doch für so manch einen Gestalter, mich eingeschlossen, eine wundervolle Quelle der Inspiration.
Bei Ausstellungen dieser Dimension gibt es immer Werke, die einen in ihren Bann ziehen, und solche, mit denen man wenig anzufangen weiß. Die Arbeiten der diesjährigen Biennale di Venezia sind sehr variationsreich und haben eine sehr gute Mischung! Ich bin froh, dass wir mit drei Tagen und einem halben genügend Besuchszeit hatten, die es erlaubte, sich auf einige davon tiefer einlassen zu können.
Parallel zu einem Stadtspaziergang durch die alten Straßen Venedigs besuchten wir am Montag den Palazzo des Landes Aserbaidschan. Darin ist das Fotografieren leider nicht gestattet, sodass ich mich in meinem Beitrag auf meine Highlights an den Hauptveranstaltungsorten Giardini und Arsenale konzentriere. Dennoch war ich von der Sammlung sehr beeindruckt – ganz besonders übrigens von der Präsentation in den ersten zwei halben Räume, die unter anderem eine frühe Statue von Giacometti zeigen. Im Erdgeschosses werden dort mit viel Raum fünf Werke an bzw. vor den alten, hohen Gemäuern und Stellwänden gezeigt. Die Arbeiten sind sehr unterschiedlich und entfalten doch gerade in ihrer Gegensätzlichkeit und aufgrund der Ausstellungsgestaltung mit reduzierter Beleuchtung eine unglaubliche Wirkung.
GIARDINI
Nordische Länder: Schweden – Andreas Eriksson
Der nordische Pavillion, dessen Architektur nach wie vor mein Favorit in Giardini ist, beherbergt die Arbeiten eines von zwei schwedischen, auf der Biennale vertretenen Künstlern: Andreas Eriksson. An den Wänden hängen einige seiner Gemälde, die sich mal abstrakter, mal realistischer mit dem Wald und seiner Farbigkeit beschäftigen. Oben sieht man zwei davon zusammen mit Stahlplatten und einem Foto.
Auf dem Boden stehen diverse kleine Metall-Skulpturen – Klekse, die an Maulwurfshügel oder Baumrinde erinnern, und Vögel, die auf Ästen sitzen oder mit ihnen verwoben sind. Alles ist in dem großen Raum, in dem drei Bäume stehen, perfekt inszeniert. Man fühlt sich fast ein wenig entführt in die Ruhe eines schwedischen Waldes, nur das alles still steht um in aller Ausführlichkeit betrachtet werden zu können.
Korea – Lee Yongbaek
Der Künstler Lee Yongbaek schmückt den koreanischen Pavillion ebenfalls mit verschiendensten Arbeiten: Zwei Skulpturen, einem Gemälde, einigen multimedialen Arbeiten und einer Serie mit dem Titel ›Angel Soldier‹, die mich besonders beeindruckt hat. Im Hauptraum sieht man zunächst fünf große Fotografien, die nach absoluter Flower Power aussehen.
Tritt man jedoch etwas näher, erkennt man Hände, die Gewehre halten und Uniformen, die mit Blumen bedruckt sind – Tarnmuster in einer vermeintlich friedlichen Blütenwelt. Zusätzlich werden auch die Uniformen, die Namen von Künstlern tragen wie Nam Jun Paik und Joseph Beuys, und ein Video, auf dem man sieht, wie die Soldaten langsam durch den Blumenschungel schleichen, gezeigt.
Österreich – Markus Schinwald
Herausragend ist auch der österreichische Pavillion, der mit einem absolut großartigen Ausstellungsdesign aufwarten kann. Die Werke von Markus Schinwald (in die Räume hineinragende Tischbeine, einige Gemälde und zwei Videos) werden in Gängen präsentiert, die mit von den Decken hängenden Wänden erzeugt werden. Fast wie in einem Labyrinth durchläuft man diese Wege und stößt an deren Enden auf eine selektierte Auswahl an Arbeiten.
Das Durchschreiten des Pavillions ist ein absolutes Erlebnis, das in einem ein Gefühl von Abenteuerlust weckt – wohin wird mich nur der Schritt um die nächste Ecke führen? Und dennoch bleibt man ruhig und durchschreitet fast andächtig die hohen, nach oben fast grenzenlosen Gänge, fühlt sich klein und noch verzaubert.
Ich halte diese Art der Präsentation für eine wunderschöne Parallele zur Stadt Venedig, dessen kleine Gassen von hohen Häuserwenden umrandet werden, in denen man ebenfalls das Sonnenlicht nur erblicken kann, wenn man den Kopf in den nacken legt. Betritt man eine davon, weiß man auch nicht, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet, wo es einen hinführt, oder ob man in einer Sackgasse endet, die entweder durch eine Wand oder einen Kanal das Weitergehen unmöglich macht. Und die unten offenen Wände der Ausstellung könnten dann ein Symbol für das Wasser sein, auf dem die Stadt gebaut ist.
ARSENALE
Arsenale – Jean-Luc Mylayne (Frankreich)
Der französische Fotograf ist mit sechs großen Abzügen seiner Werke auf der Arsenale vertreten. Alle bilden Vögel ab und stechen heraus durch eine einfache, aber kontrastreiche Farbigkeit und mit ausgeprägter Tiefenschärfe. Eines meiner Lieblingswerke der Biennale Arte ist das zweite dieser gegenüber hängenden Fotografien mit Vögeln auf dem Rand eines mit Wasser gefüllten Fasses.
Die Kontraste dieses Bildes sind einfach unglaublich. Da wäre zum einen der extreme Schwarzraum, der das Foto ein wenig geheimnisvoll anmuten lässt, aber keineswegs, wie man annehmen könnte, das filigrane Geschehen darunter erdrückt. Und dann gibt es diesen Komplementär-Farbkontrast von Blau und Orangegelb, der sich darüber hinaus auch noch perfekt in den zwei Vögeln widerspiegelt. Die Schärfe liegt genau auf den beiden Vögeln, der vordere Rand der Tonne und ganz besonders der Hintergrund sind unscharf. Ein einfaches Motiv besitzt hier eine unglaubliche Energie, die gleichzeitig eine immense Ruhe ausstrahlt.
Indien – Praneet Soi
Indien ist nicht mit einem Pavillion, wohl aber als Land zum ersten Mal seit 1982 mit einem Raum auf der Arsenale und durch drei Künstler und eine Künstlergruppe vertreten. Angetan hat es mir hier unter anderem Praneet Soi. Er malt und zeichnet Figuren, Formen und Muster, die einerseits, da er sie mittels einer Projektion überträgt, sehr realistisch sind, oft aber verformt oder in einen neuen Kontext gestellt werden. Der Schattenriss eines Fallenden enthält so die Struktur einer Häuserfassade oder die Figur einer liegenden Frau wirkt seltsam verzerrt.
Die gleichmäßigen Flächen und die feinen mit Pinselstrich oder Zeichenstift gezogenen Linien erhalten dabei eine brilliante grafische Qualität. Das Gesamtwerk ist schön anzusehen, aber die Details zu betrachten ist eine wahre Freude.
Argentinien – Adrián Villar Rojas
Die Skulpturen von Adrián Villar Rojas entführen einen in andere Welten. Betritt man den Raum des Landes Argentinien, scheint es als schreite man durch ein Tor in einen Garten mit erstarrten Monstern, verlassenen Gebäudern fremder Planeten und zerstörten Kampfrobotern. Durch diese riesigen Figuren schreitet man wie durch einen mystischen Steingarten, den Geruch von getrocknetem Ton in der Nase.
Es ist wie selbst durch einen jener Fantasy- oder Sience-Fiction-Filme zu wandeln, aber ganz ohne Gefahr, wie als staunender Beobachter einer seit Jahrhunderten stillstehender Geschichte. Für mich war das mehr ein besonderes Erlebnis, als das Bestaunen von Kunst.
Der Besuch der Biennale war wie erwartet eine spannende Reise in zum Teil vertraute und zum Teil ungekannte Kunstwelten, die ich in vollen Zügen genossen habe. Ich bin sehr gespannt auf das nächste Mal, wenn ich die Gelegenheit habe, diesem Kunstereignis beizuwohnen – wann auch immer dies der Fall sein wird… in zwei, oder doch eher vier oder gar sechs Jahren…
Zum Abschluss noch eine kleine Abendimpression, keine Kunst zwar, aber dennoch ein wunderschöner Anblick vor dem Spanischen Pavillion:
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first published at www.futurefire.de on 2011.08.06
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