Immer wieder habe ich Fragen nach meinen Kursen an der Musashino Kunstuniversität nur grob und mit dem Verweis ›Ich schreibe aber bald einen Blogeintrag darüber‹ beantwortet. Aus diesem ›bald‹ wurde nun ein ›nach Abschluss des Semesters‹, was aber den Vorteil hat, einen Gesamtüberblick bieten zu können.

Die 武蔵野美術大学 / Musashino Bijutsu-daigaku, kurz ムサビ / Musabi hat drei Design-Fakultäten. Ich habe den Eindruck, dass bei Visual Communication Design (視覚伝達デザイン / Shikaku densatsu dezain), wo ich studiere, der Schwerpunkt beim Grafik Design liegt, Science of Design (基礎デザイン / Kiso dezain) sehr interdisziplinär arbeitet und es bei Design Informatics (デザイン情報 / Dezain Jōhō) mehr um die Entwicklung von Ideen geht als um deren Ausführung. Klar zu trennen ist dies jedoch nicht, es gibt diverse Parallelen und auch die Studenten können nur vage eine Differenzierung machen.

Das Studium dauert für die regulären Studenten vier Jahre bis zum Abschluss, der unserem Bachelor entspricht. Überwiegend wird in Klassen unterschiedlicher Größe gearbeitet, in manchen gibt es Gruppenarbeit, in anderen arbeitet man individuell an der Umsetzung der gegebenen Aufgabe. Anders als an der UdK wird dabei nicht jahrgangsübergreifend gearbeitet. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Vorlesungen, in denen ein Großteil der Studenten einer Fakultät sitzt. Im vierten Jahr wird der Hauptkurs als so genanntes ゼキ / Zemi, also Seminar abgehalten, in dem die Studenten an freieren Projekten arbeiten und sich oft einzeln mit dem Professor treffen. Dies ist auch im Masterprogram der Fall, das zwei Jahre dauert und wie bei uns weder verpflichtend noch garantiert ist.

Das Austauschprogramm hat zum Ziel, Studenten die Möglichkeit zu geben, das Lehrprogramm einer Universität eines anderen Landes kennen zu lernen, ihnen aber auch einen Einblick in die andere Kultur zu ermöglichen. Zu Beginn des Semesters traf ich den mich betreuenden Professor 後藤吉郎 / GOTOH Yoshirō, der mir bei der Auswahl der Kurse half. Er richtete sich nach meinen Wünschen, achtete aber auch darauf, dass ich unterschiedliche Kursformate belegte und mit vielen Studenten in Kontakt kam. Mein Stundenplan beinhaltete dann insgesamt fünf Kurse inklusive einem englischsprachigen der Fakultät Science of Design, der für alle Musabi-Studenten offen ist, und meinem Japanischunterricht.

Musabi Class Log Cover

Mein Hauptkurs mit wöchentlich zwei mal zwei Unterrichtseinheiten, die hier anderthalb Stunden dauern, war 視覚表現演習A / Shikaku hyōgen enshū A / Übungen des visuellen Ausdrucks A aus der zweiten Jahrgangsstufe. Zwar habe ich schon deutlich mehr Jahre studiert, als meine dortigen Kommilitonen, allerdings wurde der Kurs von Gotoh-sensei geleitet und war mit insgesamt sieben Studenten recht klein. Er begann mit Exkursionen und Recherche auf dem Campus, sowie deren Ausarbeitung und wurde dann von Einzelprojekten weiter geführt. In einem ersten Artikel über mein Studium an der Musabi geht es nun um die Arbeit in diesem Kurs und mein darin entstandenes Projekt.

Musabi Folk Craft Class Room

Die Unterrichtsräume, hier der unsrige während einer kleinen Beamer-Präsentation, haben für mich ein eindeutigen Schulklassenflair – niedrige Decken, Lehrer- bzw. Präsentationspult, Tische, Stühle, Tafeln. Sie sind aber sehr gut ausgestattet, wie man an den zur Verfügung stehenden iMacs im Hintergrund sehen kann.

Musabi Folk Craft Class Post-its

Parallel zur Analyse unseres Campus machten wir zwei Ausflüge – einen zum Naturkunde Museum, den anderen zum Museum der Tama Kunstuniversität. Nach beiden trugen wir unsere Eindrücke und Entdeckungen in Form von Fotos und Post-its zusammen.

Musabi Folk Craft Class Working

Eines, was man bei einem Austauschsemester in einem Land, dessen Unterrichtssprache man nur wenig versteht, unbedingt können oder lernen muss, ist Geduld, denn man kann nicht erwarten alles zu verstehen. Sehr nützlich und unersetzlich sind Übersetzungswerkzeuge. Dabei hilft bereits ein internetfähiges Mobiltelefon viel, noch besser jedoch ist beim Japanischen ein elektronisches Wörterbuch (電子辞書 / Denshi-jishō). Damit kann man zwar der schnellen Sprechgeschwindigkeit der anderen nicht Herr werden, wohl aber den ansonsten überwiegend kryptischen Kanji.

In jedem japanisch abgehaltenen Unterricht bekam ich eine Tutorin zur Seite gestellt, die nicht für die Klasse, sondern als Helferin (oder als Tutor dann Helfer) für den Gaststudenten fungiert. Aber auch hier darf man nicht erwarten, dass auch alles übersetzt wird. Eben nur das wichtigste. Auch wenn es bedeutet, dass man sich mit der gemeinsamen Sprache des Zeichnens oder Übersetzungsprogrammen mit lustigem Ergebnis behelfen muss, weil die Tutorin so gut wie kein Englisch spricht, dies aber mit Freundlichkeit und Bemühen wett zu machen weiß. ›What is the geography of beauty Musashi easy to understand?‹ fragt, ob man sich auf dem Gelände der Musabi (武蔵美 / Musashibi) gut zurecht finden kann.

Musabi Folk Art Room Storage

Das Angebot der Musabi ist wirklich großartig. So gibt es unter anderem die Institution MAU M&L, die Musashino Art University Museum & Library, zu der auch eine Image Library mit einer Filmsammlung und der 民俗資料室 / Minzoku-shiryō-shitsu / Folk Art Room gehört.

Kursinhalt dieses Semester war es, für einen Aspekt eines dieser vier Einrichtungen eine gestalterische Lösung zu finden. Dafür untersuchten wir deren Zugänglichkeit und Informationsmaterial, besuchten die Räumlichkeiten und sprachen mit den Organisatoren.

Mit diesen Methoden erarbeiteten wir unter anderem, dass die Situation für den Folk Art Room vergleichsweise schlecht ist. Anders als die beiden Gebäude im Zentrum des Campus, in denen Museum, Bibliothek und Film-Bibliothek untergebracht sind, liegt die Folk Art Collection, wie ich zu sagen pflege, abseits und ist unter den Studenten nahezu unbekannt und schwer zu finden. Zwar gibt es gutes Informationsmaterial, das aber offenbar zu wenig Aufmerksamkeit erregt.

Musabi Folk Art Room Collection

Nur wenige nehmen das Angebot wahr, diese erstaunliche Sammlung von Volks-Handwerk – denn da diese Gegenstände einst für den tatsächlichen Gebrauch hergestellt wurden, kann man hier eigentlich nicht von Kunsthandwerk sprechen – zu besichtigen. Ich bin mir natürlich bewusst, dass meine unermessliche Neugier auf die japanische Kultur diesen ›verborgenen Schatz‹ besonders wertvoll macht, verstehe aber dennoch nicht, warum sich nicht ganz besonders die Studenten vom Produktdesign dort inspirieren lassen.

Musabi Folk Craft Class Notes

Für mich ist jeder Besuch wie eine kleine Zeitreise und ich entdecke immer wieder etwas Neues. Wie gerne würde ich da einige Stücke aus den Regalen nehmen und auf ihnen ein köstliches Mahl anbieten. Dies jedoch ist mir nicht vergönnt, wohl aber mich gestalterisch mit der Sammlung zu beschäftigen.

Nach mehreren Besuchen mit der Klasse, auf die später weitere alleine folgten, und der Durchsicht der gesammelten Unterlagen, versuchte ich mir einen allgemeinen Eindruck zu verschaffen. Ich analysierte Definitionen und stieß auch auf die japanische 民芸 / Mingei / Volkskunst-Bewegung, die in den 1920er und 30er Jahren ihren Anfang hatte. In ihrer Tradition wurde Ende der 60er Jahre auch die Sammlung der Musabi gegründet.

Musabi Folk Craft Class Notes

Ich entschied mich dafür, eine kleine Broschüre zu gestalten mit den wichtigsten Informationen und Abbildungen, um Interesse bei den Studenten zu wecken, an die sich alle Einrichtungen der MAU M&L hauptsächlich richten.

Musabi Folk Craft Sketch

Zunächst erwog ich, eine nach Material, Farbe und Benutzung gerichtete Auswahl an Objekten zu fotografieren. Aus Mangel an einer qualitativen Umsetzungsmöglichkeit wurden es dann jedoch Illustrationen. Rückblickend betrachtet war dies durchaus auch die interessantere Wahl, da die handgezeichneten (später dann allerdings am Computer kolorierten) Zeichnungen auf die ausschließlich handwerkliche Fertigung der Objekte verweist. Später erfuhr ich, dass ich dabei außerdem an eine Tradition anknüpfte. Als die Sammlung noch eine größere Popularität inne hatte, war es offenbar üblich, die Gegenstände zu zeichnen um ihre Form und Bauweise zu erfassen. Und es wundert mich nicht, dass ich gerade in einem Land, in dem Illustrationen unter anderem mit den Manga einen ganz anderen Stellenwert besitzen als in Deutschland, meine erste Studienarbeit anfertige, die diese derart in den Mittelpunkt rückt.

Musabi Folk Craft Pamphlet

Ich sehe den Entwurf als eine kleine Arbeit. Damit meine ich weniger das kleine Format, das sich an dem Informationsheft ›MAU Guide Book‹ orientiert, als den Umfang der Projektarbeit, für die im Vergleich zum Semesterablauf an der UdK recht wenig Zeit blieb. Dennoch habe ich einige interessante Erfahrungen gemacht. Die Übersetzung ins Japanische durch die Hand eines Freundes ermöglichte es mir, erstmals zweisprachig Text zu setzen. Und die Entdeckung neuer Materialien und Werkzeuge ist etwas Wunderbares. Bei MUJI habe ich eine Rundecken-Stanze erstanden und das gestrichene Papier vom Kunstbedarfsladen auf dem Campus mit Einschlüssen, die an Pappmaché erinnern, ist ein Traum.

Ich werde es vermutlich vermissen, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin. ABER ich habe das große Glück, ein weiteres Semester bleiben zu dürften. Diese absolut ungewöhnliche Ausnahme ist dem Fakt zu verdanken, dass sich für diese Zeit kein UdK-Student beworben hat, und meine Arbeit offenbar großen Anklang findet, wenn man den Kritiken meiner Lehrer Glauben schenken kann.

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first published at www.futurefire.de on 2012.02.04