An der UdK habe ich bisher mit einem Schwerpunkt auf Informationsgestaltung studiert, den ich im Kurs 情報デザイン / Jōhō Design / Information Design weiter vertiefte.
Die Klasse wurde von rund 30 Studenten belegt und wurde von zwei Professoren geleitet, einer von ihnen der mich betreuende Gotoh-sensei. Es gab zwei Themen, die von je drei Gruppen bearbeitet wurden: E-Learning und 文字と情報 / Moji to Jōhō / Schrift und Information. Ich hatte das Glück, dass meine Tutorin CHIDA Shioka, die mich nicht nur großartig durch die Projektarbeit führte, sondern auch zu einer guten Freundin geworden ist, sich ebenfalls mehr für zweites interessierte. Wie auch in Übungen des visuellen Ausdrucks konnte ich also auch hier sehr zufrieden sein.
Der Unterrichtsstil unterschied sich von meinem Hauptkurs stark, was bei einer Teilnehmerzahl von fast dem Fünffachen natürlich unvermeidlich ist. Wir arbeiteten in Gruppen, was für mich als Austauschstudentin sehr spannend war. Allein die Gruppenfindung war ein absolutes Erlebnis. Auf eine erste Vorstellungsrunde folgten weitere, in denen genau erklärt wurde, was für eine Arbeitsweise man hat und wo Interessenschwerpunkte liegen. Man ist offenbar sehr vorsichtig, verlässliche Partner zu finden, von denen zu erwarten ist, dass man gut zusammen passt. Dies wurde auch von den Lehrenden unterstützt, die uns viel Zeit für diesen Prozess ließen.
Der Unterricht bestand aus wöchentlich zwei Unterrichtsstunden à anderthalb Stunden beginnend mit einem Vortrag und gefolgt von Vorstellungen der Gruppen-Ergebnisse. Dies war nicht nur für mich mit mangelhaften Japanischkenntnissen recht langweilig, sondern zumeist auch für die regulären Studenten, wie man an der hohen Zahl der im Unterricht Schlafenden und mit anderem als dem Zuhören Beschäftigten klar erkennen konnte.
Die Projektpräsentationen wurden in der Regel in monotonem Ton vom Blatt abgelesen und dann von den Professoren kommentiert. Die anderen Studenten beteiligen sich dabei anders als an der UdK nicht an diesem Gespräch. Zudem hörte ich öfter, dass die gehörten Kommentare eher neue Fragen aufwarfen, als Klarheit zu verschaffen. Es ist aber möglich sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut an seinen Professor zu wenden.
Die Räume wirken auf mich mehr als würden sie zu einer Schule, nicht zu einer Universität gehören, sind aber für neugierige Blicke sehr spannend. Die Stühle (für europäische Beine leider etwas klein) haben Rollen, die Tische lassen sich zusammen klappen und die Tafeln sind nicht frei schwingend, sondern feststellbar (ein Segen!). Und auch in Sachen Technik gibt es hier ein gutes Angebot: Beamer, Projektor, Mikrofon, Farb- und Schwarzweißdrucker und Computer. Die Räume sind wirklich sehr gut ausgestattet.
Kernpunkt dieses Kurses bildete die Gruppenarbeit, die sehr gut funktionierte. Die Sprache stellte kein besonders großes Problem dar, da Chida fleißig übersetzte. Auch wenn sie krank im Bett lag und meine Präsentationsnotizen per Email ans Handy an Kommilitonen schickte (wie oben zu sehen), damit der Vortrag reibungslos funktionieren konnte. Zwischen dem Japanisch-Englischen gab es ab und an auch Raum für kleine Deutsch-Lehrstunden wenn Kommilitonen fragen ›Was heißt denn das auf Deutsch?‹
Überhaupt ist Sprache sehr spannend bei einem Austauschsemester. Wenn zum Beispiel Japaner eine helle Freude daran haben, das man auszudrücken lernt, endlich ›mit dem Fahrrad fahren zu können‹ oder einzelne Worte in der Fremdsprache noch lustiger werden wie たこポップコーン / Tako Poppukōn / Oktopus Popcorn. All dies erzählt auch vom vielen Spaß, den wir miteinander hatten.
Unsere E班 / E-han / Gruppe E, also die fünfte von sechsen, bestand aus fünf Studentinnen und obwohl wir zumeist in zwei Sprachphasen arbeiteten – erst Japanisch und dann Englisch oder umgekehrt, da die meisten kein Englisch sprachen, funktionierte die Zusammenarbeit ziemlich gut. Sicherlich sind Einzelheiten bei der Übersetzung verloren gegangen, aber dies hielt uns nicht davon ab, einen regen Ideenaustausch zu führen.
Wir einigten und konzentrierten uns schnell auf das Medium Zeitung in seiner heutigen Formenvielfalt als Printmedium, Online-Ausgabe auf Computerbildschirmen und Klapphandys bis hin zur App auf Smartphones und Tablet-Computern.
Wir begannen mit einer breit gefächerten Recherche, die Leser, Inhalte und Gestaltung umfasste, zum Beispiel im oben zu sehenden Vergleich eines Artikels im Internet und als App auf dem iPhone.
In unseren wöchentlichen Gruppenmeetings kristallisierte sich heraus, dass wir uns in unserer Arbeit immer mehr um Zeitungs-Applications auf dem iPad fokussierten. Diese neue Technik verbindet das fixe Layouts im Print mit den interaktiven Möglichkeiten der digitalen Welt, aber sie besitzt natürlich auch klare Grenzen, wie dieses Video eindeutig zeigt: ›The new Newsday App is better than the newspaper in all kinds of ways.‹
Wir durchforsteten das Internet nach Layout- und Anwendungsbeispielen und dokumentierten unser eigenes Verhalten und Empfinden beim Nutzen von News-Apps. Eine Kommilitonin brachte ihr eigenes iPad mit, ein zweites liehen wir uns von der Universität aus. Wir wollten erkunden, was bereits auf dem Markt ist, darüber hinaus aber erarbeiten, welche Verbesserungen und Innovationen uns als Kunden zufriedener stellen würden.
In einer ersten großen Post-its-Session sortierten wir unsere Ergebnisse, hier formidabel zusammengefasst von einer Kommilitonin, …
… gefolgt von einer zweiten zur Ideensammlung, die bereits eine Gewichtung auf das Arbeiten mit den Zeitungs-Inhalten hatte. Hierbei bezogen wir uns auf Forschungen, die besagen, dass fast 50% der Anwender das iPad nutzen um zu lernen und Informationen zu sammeln. Das ist Platz drei nach ›zum Entspannung‹ mit über 70% und ›um Musik zu hören oder ein digitales Buch zu lesen‹ mit über 50%.
Wir hatten einen Haufen voller Ideen und konzentrierten uns dann im Wesentlichen auf Funktionen, mit denen der Anwender nicht nur Leser, sondern auch Editor sein kann. Unsere Entwürfe übertrugen analoge Möglichkeiten wie das Markieren und Kommentieren von Textpassagen und ›Abheften‹ von Artikeln in selbst gewählten Kategorien, griffen aber auch digitale Errungenschaften auf wie das Versehen der Artikel mit Tags und das individuelle Verknüpfen von Inhalten.
Wir arbeiteten überwiegend konzeptionell, entwarfen aber auch gestalterische Ansätze. Oben zu sehen sind das offizielle Projektlayout (links) und meine Umsetzung der Idee einer quadratischen Inhaltsfläche (rechts). Hauptsächlich beschäftigte uns hier, dass ausnahmslos alle Zeitungen ihr gedrucktes Layout übernehmen, was dem neuen Medium unserer Meinung nicht gerecht wird und den Leser unnötig belastet.
In unserem Entwurf wird ein Artikel dann zum Beispiel auf einer Einzelseite und bereits in vom Nutzer individuell einstellbarer Lesegröße angezeigt. Für den nächsten Absatz wird nicht die ganze Zeitungsseite bewegt, sondern nur der Text mit einem Fingerwisch weitergeschoben.
Nach gut zwei Dritteln des Semesters beendeten wir die beiden Projekte E-Learning und 文字と情報. In einer Skype-Konferenz mit Londoner Studenten, aber nicht auch mit wie im so genannten Trinity-Project eigentlich vorgesehenen Studenten aus Hakodate im Norden Japans, stellte je eine Gruppe ihre Ergebnisse vor. Die unsere war eine davon. Unsere Gesprächspartner präsentierten ihrerseits ebenfalls zwei Arbeiten.
Mein Eindruck, dass in unserer Klasse mehr an Ideen denn an einer attraktiven gestalterischen Umsetzung gearbeitet wird, wurde im Kontrast noch einmal deutlich. Man kann nicht sagen, dass die Arbeiten japanischer Studenten nicht so gut aussehen, wie die derer in Europa, die Gewichtung ist nur eine andere. Dies ist mir mehrfach aufgefallen, es gilt allerdings definitiv nicht für alle Kurse!
Im Anschluss folgte dann ein zweites Projekt für ein paar wenige Wochen, in dem die Gruppen selbst entscheiden konnten, in welche Richtung es gehen sollte. Nachdem wir einige Zeit das News-App Thema weiter verfolgten, schwenkten wir relativ kurzfristig noch einmal um. Basierend auf dem Gedanken ein Werkzeug für die Recherche und zum Studieren zu entwickeln, kreierten wir ein Szenario, in dem es möglich ist, Daten auf eine biegsame OLED-Oberfläche zu übertragen. Für uns wäre das nicht nur als individuelle ›Schreibunterlage‹ nützlich gewesen, sondern auch in der Projektarbeit.
Die Gruppenarbeit funktionierte in diesem Projekt, für das wir nur sehr wenig Zeit hatten, nicht mehr ganz so gut wie zuvor. Zum Ende des Semesters war jeder von uns mit anderen Kursen im Stress, und so konnten bei Gruppenmeetings nie alle Studenten anwesend sein. Ich habe mich letztendlich nicht so einbringen können, wie ich es gerne gewollt und eigentlich gesollt hätte, aber in Anbetracht der Umstände war dies für uns alle offenbar nicht anders machbar.
Nichts desto trotz habe ich aus dieser Klasse eine Menge mitgenommen und kann sie definitiv als Erfolg und gut investierte Zeit verbuchen. Ich habe nicht nur meinen Horizont zum Thema Zeitungen und iPad erweitern können, sondern ganz besonders viele Eindrücke japanischer Gruppenarbeit sammeln und supernette Teamkolleginnen kennen lernen dürfen!
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first published at www.futurefire.de on 2012.03.12