Manchmal sind es die ganz kleinen Dinge, die Leute staunen lassen. Ich erlebe immer wieder, wie ein in Langeweile aus einer Serviette oder einem Bonbon-Papier gefalteter Origami-Kranich Bewunderung hervor ruft. Dabei braucht man dafür nur ein bisschen Fingerfertigkeit und oft ist der Kranich die erste und manchmal einzige Figur, die man von der Kunst des Papierfaltens lernt.

Origami (折り紙) ist japanisch und bedeutet nichts anderes als das Falten (折る / おる / oru) von Papier (紙 / かみ / kami). Wie viele andere Dinge gelangte auch das Papier aus China nach Japan. Dies geschah bereits Ende des sechsten Jahrhunderts nach christlicher Zeitrechnung. Damals war es sehr teuer und den oberen Schichten vorbehalten. In der Muromachi Ära (1333 – 1568) entwickelte sich unter anderem eine zeremonielle Tradition, Opfergaben kunstvoll in Papier einzupacken. Und auch heute noch sind speziell gefaltete Papierfahnen eines der typischen Symbole des Shintō. In der Edo-Zeit (1603 – 1868) wurde Papier für die breite Masse erschwinglich und das Erstellen von Figuren war nicht mehr dem Adel vorbehalten.

Paper in Shinto, Kyoto

Heute gibt es zahlreiche unterschiedliche Disziplinen neben dem traditionellen Origami, bei dem man ein Papierquadrat verwendet, das weder zerschnitten noch geklebt werden darf. Beim Modularen Origami werden mehrere gleiche Teile verwendet um beispielsweise Polyeder zu erstellen, das Wetfolding sieht vor, das Papier zunächst feucht zu machen, oder man beschränkt sich auf ein spezielles Papier zum Beispiel Geldscheine. Das Internet bietet zahlreiche zum Teil erstaunlichste Kreationen, die mit dem oft als langweilig verschrieenen Origami aus Kindergartenzeiten nicht mehr viel gemein haben. Also einfach mal „Origami“ bei Google eingeben und phantastische Drachen mit tausenden Schuppen, einen geknitterten Meister Yoda oder kunstvoll erstellte Käfer bewundern. Und wen es dann selbst in den Fingern juckt, kann erstmal bei diesem japanischen Origami-Club verschiedene traditionelle Modelle ausprobieren.

Die wohl berühmteste Origami-Figur ist zweifellos der Kranich. Abgesehen davon, dass er verhältnismäßig leicht zu falten ist und dennoch nicht so rudimentär aussieht wie ein Papierhut, besitzt er eine Geschichte, die ihn weltweit bekannt machte. Einer alten japanischen Legende zufolge erfüllen die Götter demjenigen, der tausend Kraniche faltet, einen Wunsch. Seit langer Zeit versuchen sich Japaner so Glück oder Gesundheit zu verschaffen. Auch heute wird diese Tradition fortgeführt und Familien falten unter anderem um sie Krankenhäusern zu spenden.

Die berühmteste Falterin ist zweifellos Sadako Sasaki (佐々木禎子 / ささきさだこ / SASAKI Sadako) – ein Mädchen, das im Alter von 2½ Jahren den Atombombenabwurf in Hiroshima erlebte und als Jugendliche wie viele Überlebende an Leukämie erkrankte. Das Krankenhaus, in dem sie liegen musste, hatte zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes einen Packen Zellofan-Papier aus Nagoya erhalten, aus dem viele Patienten Kraniche für ihre Genesung falteten – so auch Sadako, deren Freundin ihr von der alten Legende erzählt hatte. Sie faltete winzig kleine Exemplare, für die sie eine Nadel als Hilfsmittel nutze, und verwendete jedes Papier das sie bekommen konnte. Nach 500 Kranichen ging es ihr etwas besser, und sie schaffte es, über tausend Stück zu erstellen, dennoch starb sie nach monatelangem Krankenhausaufenthalt. So schön es auch wäre, aber Krebs lässt sich nun mal nicht durch das Falten von Papier heilen. Das Hiroshima Friedensmuseum hat im Internet eine sehr informative und umfangreiche virtuelle Ausstellung über Sadako und die Papierkraniche auf Englisch eingerichtet.

Origami Cranes Hiroshima

Sadakos Geschichte wurde international bekannt und die Origami-Kraniche zu einem Symbol der Friedensbewegung. Ihr zu Ehren errichtete man 1958 auf eine Initiative ihrer Mitschüler im Friedenspark von Hiroshima das oben zu sehende Kinderfriedensdenkmal, um das herum in Glaskästen aus aller Welt kommende Papierkraniche ausgestellt werden. Diese Sammlungen gibt es auch im Friedenspark von Nagasaki (siehe unten) und an vielen anderen Orten, wie zum Beispiel in Shintō-Schreinen, wo sie sich nicht nur für Frieden stehen, sondern auch für Gesundheit und zur Erfüllung von Wünschen aufgehängt werden.

Origami Cranes Nagasaki

Ich selbst habe vor einigen Jahren selbst tausend Kraniche gefaltet. Dabei hatte ich keinen expliziten Wunsch vor Augen, sondern wollte mir selbst beweisen, dass ich es schaffen kann. Ich dachte, wenn ich so ausdauernd bin, schaffe ich es auch alle anderen Vorhaben und Ziele zu erreichen. Einige Wochen mit 7×7 cm großen, überwiegend aus Zeitschriften ausgeschnittene Quadraten in den Taschen, faltete ich immer und überall – in der U-Bahn, im Unterricht, in der Warteschlange der Post… hatte ich 100 fertig, fädelte ich sie an auf einem Faden auf und weiter ging`s. Insgesamt war ich dann doch unerwartet schnell damit fertig und des Faltens keineswegs überdrüssig.

Diese tausend und die vielen kleinen in zahllosen Situationen danach entstandenen Kraniche besitze ich immer noch, und weiß nicht genau wohin damit. Wirklich brauchen tut man sie ja irgendwie nicht, zum Wegschmeißen war es einfach zu viel Arbeit und für nach Japan bringen reicht nie der Platz im Gepäck und die Frage, wo man sie dann dort hinbringen soll, habe ich auch noch nicht beantworten können.

Thousand Origami Cranes

Wenn man immer und immer wieder die gleiche Figur bastelt, bekommt man natürlich Routine und entwickelt seine eigenen Kniffe, die von der klassischen Falttechnik abweichen. Da ich immer wieder gefragt werde »Wow, wie machst du das denn!«, folgt hier nun eine Anleitung für den allseits berühmten Zellstoffvogel in der Version à la Wanda:

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 1 Man nehme ein quadratisches Stück Papier. Ideal ist eines von 10×10 bis 15×15 cm Größe. Bei sehr kleinen Formaten sind längere Finger sehr nützlich, zu große Bögen können ziemlich unberechenbar werden.

Schritt 2 Das Quadrat horizontal und vertikel falten, und zwar so, dass sich die Schauseite beide Male außen befindet. (Kanten von gepunktete Striche führen immer von einem weg (Talfalte), gestrichelte kommen einem entgegen (Bergfalte).)

Schritt 3 Nun das Blatt zwei Mal diagonal falten. Dabei soll ein Falz mit der Schauseite nach außen und einmal nach innen vollführt werden. (Faltet man diese in diesen und dem letzten Schritt vollzogenen Kniffe so wie hier beschrieben, was von der Originalfaltung abweicht, funktioniert der nächste Punkt fast von alleine.)

Schritt 4 Die beiden seitlich liegenden Ecken nun nach innen klappen und auf die untere Ecke legen. Die obere Ecke wandert dabei mit nach unten. Die dabei entstehende Form sollte dann so aussehen und positioniert sein, wie seitlich in der Zeichnung und auf dem Foto unten angezeigt.

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 5 Die beiden seitlich liegenden Ecken wie angegeben an den vertikal verlaufenden Mittelbruch falten.

Schritt 6 Papier wenden und mit der anderen Seite genauso verfahren.

Schritt 7 Die in den letzten beiden Schritten vollführten Falze wieder öffnen. Dann den Falz entlang der mit „hier“ markierten gepunkteten Linie knicken und zurück schlagen. (Ich mache heute nur noch am Rand zwei kleine Stanzungen mit dem Fingernagel, aber erstmal ist es einfacher alles komplett zu knicken.)

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 8 Die untere Ecke anfassen und nach oben, also zu sich hin und nicht zum nach oben zeigenden Teil der Figur, ziehen. Die dabei umklappenden, äußeren Laschen falten sich um und wandern zur Mitte. Drückt man diese dann fest, verläuft der Knick genau entlang dem Falz, der im vorigen Schritt angelegt wurde.

Schritt 9 Papier wenden und auf der Rückseite den Schritt 8 wiederholen. Wenn man damit fertig ist, muss man die Figur so hinlegen, dass sie im vertikalen Mittelfalz oben verbunden und unten offen ist.

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 10 An jeder Seite liegen nun jeweils zwei „Flügel“ übereinander. Jeweils den oberen davon greifen und zur Mittelachse falten. (Ich lasse dabei immer ein klein wenig Abstand zu dieser, damit sich bei den folgenden Schritten keine Teile übereinander schieben.)

Schritt 11 Die Figur erneut umdrehen und bei der Rückseite den letzten Schritt wiederholen.

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 12 Rechts und links liegen wieder je zwei „Flügel“ übereinander. Den rechten oberen greifen und auf den linken oberen legen. Dort liegen nun drei übereinander

Schritt 13 Mit der Rückseite genauso verfahren, sodass jeweils zwei „Flügel“ übereinander liegen. Die Figur, die dabei entsteht, sieht so aus, als hätte sie oben zwei Hörner. (Diese Schritte sind ebenfalls unkonventionell. Ich mache sie, um Kopf und Schweif besser formen zu können.)

Schritt 14 Die untere Ecke nach oben klappen.

Schritt 15 Die Figur erneut umdrehen und mit der nun oben liegenden Seite genauso verfahren.

Origami Crane Folding

Origami Crane Folding

Schritt 16 Die „Flügel“ wie in Schritt 12 und 13 wieder zurück klappen. Nun liegt je ein späterer Vogelflügel oben und einer unten. Dazwischen befinden sich nun die beiden Spitzen, die zum Schweif und Kopf werden. (Zum Auffädeln kann man hier aufhören, da sich diese Form sehr gut ineinander stecken lassen.)

Schritt 17 Die beiden Spitzen nun nach außen ziehen. Die schönere davon bleibt so als Schweif, die weniger gelungene klappt man so nach innen, dass der Kopf wie angezeigt entsteht.

Origami Crane Folding

Damit der Kranich auch steht, muss man die Flügel auseinander ziehen und gegebenenfalls die vier Füße unten noch etwas auseinander drücken. Dann kann man den Kranich entweder – wie beim kleinen pinkfarbenen – auf diese Füßchen stellen, oder wie bei den beiden Großen auf den Schweif. Noch etwas eleganter wird er, finde ich, wenn man die Flügel noch etwas rundet und den Kopf leicht dreht. Und wer jetzt will, kann sich seinen eigenen Vogelschwarm bauen!

Aufbauend auf meine jahrelange Kranich-Falterfahrung, bin ich nun noch einmal den umgekehrten Weg gegangen. Ich habe einzelne Partien eingefärbt und mir dann angesehen, welche Teile welche Stellen des Ursprungquadrats nutzen. Ich kann nun in Zukunft genauer vorausplanen, wo welche Muster zu sehen sein sollen. Die eine Bergfalte im Anleitungsschritt 3 verläuft dabei vom Schnabel bis zur Schwanzspitze. Zur detallierten Orientierung habe ich die folgenden Schemata angefertigt: 1) die gesamte Oberfläche, 2) die oben liegenden Teile, 3) Hals und Kopf, sowie Schweif und Füße, auf denen der Kranich steht, und abschließend 4) die Flügel sowie die Teile von Körper und Füßen, die außen zu sehen sind.

Origami Crane Folding

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first published at www.futurefire.de on 2010.02.21